MUSENBISSE
Ein herrlicher Tag! Ich habe frei, liege auf dem Balkon, die Sonne scheint, ein leichter Wind fächelt mir Luft zu ... ich habe es gut! Ein tiefer zufriedener Seufzer entfährt meiner Brust.
Und das, obwohl ich leide.
Ja, ich leide! Aus der Wohnung verbannt - eingehüllt in Decken bis zum Hals, nur die nackten Füße schauen heraus und die tropfende Nase! Um mich herum Pillen, Tees, Brausetabletten mit Vitamin C, gegen Kalziummangel, zum Schleimlösen und Taschentücher, Hustenbonbons, Halslutsch-pastillen, Nasensprays ... Ich leide! Ich habe keinen vulgären Schnupfen, nein - ich nicht! Ich kämpfe gegen einen akuten, massiven Rhinovirenbefall und ich leiiiiideeeeee! Voller Hingabe genieße ich diesen Zustand, koste ihn aus. Wann war ich schon mal so krank ...?
Taktlos reißt mich das Schellen der Wohnungsklingel aus unruhigem Schlummer. Ein Luftzug deutet mir, dass die Tür geöffnet wird. Leichtfüßig huscht jemand herein. Betont leises Flüstern auf dem Flur, gerade so, dass ich es hören kann, weckt meine Neugier. ”... das ist ja schrecklich ... gestern war sie noch quietschfidel und nun ... wie lange hat sie ... ich meine, sie wollte doch ...”. Ich konnte nicht jedes Wort verstehen und bevor ich mich in dem entgegengebrachten Mitgefühl aalen kann, erspüre ich einen ironischen Unterton in der Stimme meiner Freundin.
Schlange! Steckt mit meiner nesthockenden Tochter unter einer Decke! Mir fehlt die Kraft, mich zur Wehr zu setzen.
Schon gestern belauschte ich ein Telefonat zwischen meinen Töchtern. Sagte doch die Nesthockende zu ihrer großen Schwester “... Mama willst Du sprechen? ... warte mal ... wie es ihr geht? ... ach, sie leidet ... diesmal ist es besonders schlimm ... sie trägt Rot! ...”
Ja, ich trage Rot. Rot steht mir gut, wenn ich leide, es unterstreicht die kranke Blässe.
Mit lauten Trompetenstößen mache ich auf mich aufmerksam, betrübt, dass meinem Zustand nicht der gebührende Respekt entgegengebracht wird. “Du verseuchst die gesamte Wohnung ...” meine Tochter drängt mich zurück auf den Balkon und schiebt mir eine weitere Tasse widerlich süßen Kräutertees zu. Sie will mein Leiden schnellstmöglich beenden, aber ich werde ihr was husten ... Ich habe Ausdauer!
Ich ordere eine neue Turnierpackung Taschentücher, extra weich mit schützendem Ringelblumen-Balsamfilm ... alles was ich haben möchte, bringt sie mir - nicht sichtlich erfreut, aber ihrer Nesthockerpflicht gehorchend.
... und sie bringt mir darüber hinaus - ein Dampfbad!!!!
Hilfe, ich kriege so schon keine Luft. Noch bevor ich ein Wort sagen kann, habe ich ein riesiges Badelaken über dem Kopf und die Nase über heißem Kamillenwasser. Ich ergebe mich, versuche, die kleinen Kamillenblüten zu zählen, die in der Schüssel ertrinken. Im Nachbargarten verkündet eine Krähe lauthals meinen nahen Tod. Jemand setzt sich neben mich, wortlos.
Ich denke zurück, wie fing das eigentlich an ... Ich war kerngesund, die letzte Untersuchung ergab nur einen Kalzium-Mangel und ich habe mich doch umgehend daran gemacht, diesen auszugleichen. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen ... bis dahin hatte ich offensichtlich nicht einmal die Kraft, krank zu werden! Und nun, mit steigendem Kalziumspiegel ...! In Panik reiße ich mir das Handtuch vom Kopf, ringe nach Luft, lehne mich erschöpft zurück ... Was kommt wohl als nächstes? Langsam versinke ich in einen schwerelosen Dämmerzustand.
Gegen Abend habe ich mich mit meiner prämortalen Phase arrangiert und auch meine Tochter scheint die Dramatik endlich begriffen zu haben. Sie strahlt über das ganze Gesicht und baut sich mit einer Suppenschüssel in den Händen stolz vor mir auf. “Oh wie schön”, denke ich ... “ein Hühnersüppchen“. In ihrer rauen Schale steckt doch ein mitleidendes Herz! Ich quäle mich zum Sitzen, lächele mit letzter Kraft zurück, nehme den Deckel der Terrine hoch ... und lasse ihn augenblicklich scheppernd wieder fallen. Haferschleim! Haferschleim?
“Ich hab doch nichts am Magen!” zische ich. Ich lächele nicht mehr, ich springe auf, eile ins Bad.
Die abendliche Geschwisterverschwörung brachte es ans Licht ...
“... Ja, ich habe es so gemacht ... hat gewirkt ... hat bei uns doch auch immer geholfen ...“ Kichernd legt der Nesthocker den Telefonhörer auf und schiebt mir ... einen Teller Hühnersuppe zu ...
Nach dem Essen verlasse ich die Gruft, begebe mich schnurstracks an den PC. Ich spüre es ganz deutlich ... Die Muse hat mich gebissen. Sie hat ihren hässlichsten Mantel übergehängt und attackiert mich. Ihre Tarnung ist perfekt! Niemand vermutet sie hinter diesem löchrigen Fetzen, aus dem es unaufhörlich tropft.
Meine sonnenverbrannten Füße im kühlenden Nass, beginne ich zu schreiben ...
“... Die Sonne hält mir die Augen zu. Über meine Vermummung bei 25 Grad Außentemperatur verärgert, stürzt sie sich mit ganzer Kraft auf meine nackten Füße... Es schmerzt! Ich leide! Verbrennung dritten Grades!
Aus tränenden Augenwinkeln sehe ich zu, wie sie auch den Petunien das Gießwasser wegtrinkt, unfähig, etwas zu tun. Traurig lassen sie ihre hübschen roten Köpfchen hängen, rot wie meine sonnenverbrannten Füße, rot wie meinT-Shirt ... ja, rot steht mir gut, wenn ich leide. ...”
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Und das, obwohl ich leide.
Ja, ich leide! Aus der Wohnung verbannt - eingehüllt in Decken bis zum Hals, nur die nackten Füße schauen heraus und die tropfende Nase! Um mich herum Pillen, Tees, Brausetabletten mit Vitamin C, gegen Kalziummangel, zum Schleimlösen und Taschentücher, Hustenbonbons, Halslutsch-pastillen, Nasensprays ... Ich leide! Ich habe keinen vulgären Schnupfen, nein - ich nicht! Ich kämpfe gegen einen akuten, massiven Rhinovirenbefall und ich leiiiiideeeeee! Voller Hingabe genieße ich diesen Zustand, koste ihn aus. Wann war ich schon mal so krank ...?
Taktlos reißt mich das Schellen der Wohnungsklingel aus unruhigem Schlummer. Ein Luftzug deutet mir, dass die Tür geöffnet wird. Leichtfüßig huscht jemand herein. Betont leises Flüstern auf dem Flur, gerade so, dass ich es hören kann, weckt meine Neugier. ”... das ist ja schrecklich ... gestern war sie noch quietschfidel und nun ... wie lange hat sie ... ich meine, sie wollte doch ...”. Ich konnte nicht jedes Wort verstehen und bevor ich mich in dem entgegengebrachten Mitgefühl aalen kann, erspüre ich einen ironischen Unterton in der Stimme meiner Freundin.
Schlange! Steckt mit meiner nesthockenden Tochter unter einer Decke! Mir fehlt die Kraft, mich zur Wehr zu setzen.
Schon gestern belauschte ich ein Telefonat zwischen meinen Töchtern. Sagte doch die Nesthockende zu ihrer großen Schwester “... Mama willst Du sprechen? ... warte mal ... wie es ihr geht? ... ach, sie leidet ... diesmal ist es besonders schlimm ... sie trägt Rot! ...”
Ja, ich trage Rot. Rot steht mir gut, wenn ich leide, es unterstreicht die kranke Blässe.
Mit lauten Trompetenstößen mache ich auf mich aufmerksam, betrübt, dass meinem Zustand nicht der gebührende Respekt entgegengebracht wird. “Du verseuchst die gesamte Wohnung ...” meine Tochter drängt mich zurück auf den Balkon und schiebt mir eine weitere Tasse widerlich süßen Kräutertees zu. Sie will mein Leiden schnellstmöglich beenden, aber ich werde ihr was husten ... Ich habe Ausdauer!
Ich ordere eine neue Turnierpackung Taschentücher, extra weich mit schützendem Ringelblumen-Balsamfilm ... alles was ich haben möchte, bringt sie mir - nicht sichtlich erfreut, aber ihrer Nesthockerpflicht gehorchend.
... und sie bringt mir darüber hinaus - ein Dampfbad!!!!
Hilfe, ich kriege so schon keine Luft. Noch bevor ich ein Wort sagen kann, habe ich ein riesiges Badelaken über dem Kopf und die Nase über heißem Kamillenwasser. Ich ergebe mich, versuche, die kleinen Kamillenblüten zu zählen, die in der Schüssel ertrinken. Im Nachbargarten verkündet eine Krähe lauthals meinen nahen Tod. Jemand setzt sich neben mich, wortlos.
Ich denke zurück, wie fing das eigentlich an ... Ich war kerngesund, die letzte Untersuchung ergab nur einen Kalzium-Mangel und ich habe mich doch umgehend daran gemacht, diesen auszugleichen. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen ... bis dahin hatte ich offensichtlich nicht einmal die Kraft, krank zu werden! Und nun, mit steigendem Kalziumspiegel ...! In Panik reiße ich mir das Handtuch vom Kopf, ringe nach Luft, lehne mich erschöpft zurück ... Was kommt wohl als nächstes? Langsam versinke ich in einen schwerelosen Dämmerzustand.
Gegen Abend habe ich mich mit meiner prämortalen Phase arrangiert und auch meine Tochter scheint die Dramatik endlich begriffen zu haben. Sie strahlt über das ganze Gesicht und baut sich mit einer Suppenschüssel in den Händen stolz vor mir auf. “Oh wie schön”, denke ich ... “ein Hühnersüppchen“. In ihrer rauen Schale steckt doch ein mitleidendes Herz! Ich quäle mich zum Sitzen, lächele mit letzter Kraft zurück, nehme den Deckel der Terrine hoch ... und lasse ihn augenblicklich scheppernd wieder fallen. Haferschleim! Haferschleim?
“Ich hab doch nichts am Magen!” zische ich. Ich lächele nicht mehr, ich springe auf, eile ins Bad.
Die abendliche Geschwisterverschwörung brachte es ans Licht ...
“... Ja, ich habe es so gemacht ... hat gewirkt ... hat bei uns doch auch immer geholfen ...“ Kichernd legt der Nesthocker den Telefonhörer auf und schiebt mir ... einen Teller Hühnersuppe zu ...
Nach dem Essen verlasse ich die Gruft, begebe mich schnurstracks an den PC. Ich spüre es ganz deutlich ... Die Muse hat mich gebissen. Sie hat ihren hässlichsten Mantel übergehängt und attackiert mich. Ihre Tarnung ist perfekt! Niemand vermutet sie hinter diesem löchrigen Fetzen, aus dem es unaufhörlich tropft.
Meine sonnenverbrannten Füße im kühlenden Nass, beginne ich zu schreiben ...
“... Die Sonne hält mir die Augen zu. Über meine Vermummung bei 25 Grad Außentemperatur verärgert, stürzt sie sich mit ganzer Kraft auf meine nackten Füße... Es schmerzt! Ich leide! Verbrennung dritten Grades!
Aus tränenden Augenwinkeln sehe ich zu, wie sie auch den Petunien das Gießwasser wegtrinkt, unfähig, etwas zu tun. Traurig lassen sie ihre hübschen roten Köpfchen hängen, rot wie meine sonnenverbrannten Füße, rot wie meinT-Shirt ... ja, rot steht mir gut, wenn ich leide. ...”
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Luna in flagranti - 14. Apr, 01:11