Gute-Nacht-Geschichten

23
Jan
2009

RAUCHERPAUSEN

Still ist es und diese fast unheimliche Stille wird im Sekundentakt von der Uhr an der Wand zerhackt. Kein Rauschen der Heizung, kein Heulen des Windes hinter dem halb geöffneten Fenster. Die Dunkelheit hat sich fünf Minuten nach halb zwei zur Ruhe gelegt. Ein paar Zimmer weiter wartet eine unklare Diagnose auf den Transport ins Krankenhaus. Der Notarzt ist schon wieder unterwegs zum nächsten Einsatz. - Nachtschichtalltag. Mit meiner Zigarettenration bin ich bereits zwei Pausen voraus. Mein Kopf ist zu eng für ein leeres Chaos. Widersprüchlichkeiten der Wirklichkeit. Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit, behauptet man. Wenn das tatsächlich so ist, wünschte ich, mancher wäre immer Kind oder betrunken. Zumindest einer von manchen.

Halb vier und die sechste Zigarette in dieser Schicht. Man kann sich schnell an etwas gewöhnen. Zwei Teetassen nach der Arbeit, eine Kerze zwischen abgegessenen Teller, Anzeichen von mehr als einem Leben im Bad und im Schlafzimmer. Wohlfühlen. Den Alltag unter einer Kuscheldecke verschwinden lassen. Blödsinniges Fernsehen blockiert unnötige Worte. Nur in scheinbar belanglosen Nebensätzen versteckt sich Tiefe. Einer schrieb mir “meine Liebste” in der ersten SMS des neuen Jahres und dieser eine fragt sich heute, wie er mich anderen vorstellen sollte - vielleicht als ‘seine Bekannte‘. Am Ende der Gleichung steht: je tiefer das Gefühl, desto größer der verbale Abstand. Nach drei Tagen spricht man von nötigem Abstand. “Man gewöhnt sich zu schnell “ sagt er, löscht das Licht und dreht mir den Rücken zu. “Ja“, sage ich belustigt, “es wird sonst langweilig” und während ich mich zum Schlaf an den bekannten Rücken kuschele, folge ich dem Sinn seiner Worte. Von Abstand gegen Gewöhnung an Momente des Glücklichseins ist die Rede.
Abstand erzeugt Sehnsucht. Das ist ihm wohl nicht bewusst.

Kurz vor sechs, letzte Zigarette. Dazu Kaffee, sehr heiß, sehr stark - Schwesternkaffee. Eine dürre Spinne durchquert den Raum. Ich beobachte sie eine Weile und zähle die Kippen im Aschenbecher. Die Heizung rauscht jetzt wieder. Draußen tobt sich ein eisiger Sturm in den neuen Tag. Ich werde wohl doch gleich kratzen müssen. Dienstübergabe. Schnell nach Hause und ins Bett. In den Schläfen wird das Klopfen unerträglich. Ist ein Zuhause ein Zuhause, wenn es kalt ist. Wenn niemand da ist und wartet? Manchmal habe ich das Singledasein satt, besonders im Winter. Ja es stimmt. Man kann sich schnell an etwas gewöhnen und man nimmt dann auch glücklich Nachteile einer Zweisamkeit in Kauf. Für ein wenig Wärme, für einen ruhigen Atem auf dem Kopfkissen neben dem eigenen, für die Möglichkeit, in die Träume eines guten Bekannten zu lauschen.

25
Apr
2008

DIE PARTITUR DER NACHT

(Erste Besetzung)

Rot versteckt der Mond sich hinter Wolkenfetzen. Zwischen den Schornsteinen duckt sich die Nacht. Schlaf regiert. Es ist halb drei. Auf den langen Fluren folge ich der Ruhe, die aus den Schlüssellöchern zu kriechen scheint. Kleine Seufzer, leises Schnarchen, hin und wieder ein kichernder Traum. Vielleicht noch ein vergessener Fernseher. Auf Tastendruck ein gewaltiger Wasserfall. Sonst nichts. Nur der Gesang der Stille, der durch geöffnete Fenstern in die Dunkelheit flieht.

Frische kühle Luft drängt an mir vorbei. Schnell hat sie den Atem des vergangenen Tages aufgesogen, pfeift durch Türritzen, klappert sich durch Ventiltoren, bläht raschelnd Gardinen auf. Hinter mir Schritte, vorsichtig, unsicher. Flüsternde Gespräche begleiten uns zurück ins Zimmer. Sachtes Schmatzen eines Gutenachtkusses. Noch etwas Musik? Klavier oder Streicher? Sie entscheidet sich für den tropfenden Wasserhahn und das Ticken ihrer Uhren. Vertraute Geräusche. Die Tür knarrt beim Schließen. Eine andere öffnet sich, kaum hörbar.

Bremsenquietschen zerreißt das friedliche Bild. Die Zeitung bringt einen neuen Tag - schwarz auf weiß. Ich vermisse heute das gleichmäßige Fauchen der Autobahn, das Schreien der Martinshörner weniger. Sie kommen nicht vor in der Partitur dieser Nacht.

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12
Apr
2008

GUTEN MORGEN, PÜPPCHEN

Leises Schnarchen begrüßt mich und eine Perücke über der Blumenvase. Sie war also doch wieder unterwegs ... Und jetzt schläft sie. HEUTE schläft sie noch. Und dabei hätte ich gerade heute viel Zeit für sie gehabt. Die Nacht war ruhig und es war auch nichts beunruhigendes mehr zu erwarten. Eine Weile ruht mein Blick auf den entspannten Gesichtszügen der Schlafenden. Schönheit liegt im Schlaf. Ungekünstelt, unverkrampft. Alles sträubt sich in mir, sie zu wecken. Ich gehe ins Wohnzimmer, sehe mich um, bestaune Trophäen eines fast abgeschlossenen Jahrhunderts. Afrikanischer Schmuck neben Buddhafiguren, wenige Bilder, geschmackvolle Sparsamkeit. Keine unechten Blumen, dafür ein ziemlich ramponierter beblätterter Gesprächspartner, der immer wieder seinen Platz wechseln muss ... Heute steht er auf dem Balkon - ob er das überlebt. Ich öffne die Balkontür, den blättrigen Freund rette ich ins Zimmer. Auf dem Weg ins Schlafzimmer verfängt sich mein Blick im Bücherregal. Marquez, Walser, Brecht, Klaus Mann, Kunstbände dichtgedrängt und Reiseberichte aus aller Welt.

Ich ziehe Vorhänge auf, mache Lampen an ... sie wird unruhig. Sanft streichele ich sie in den neuen Tag. Einer der schönsten Augenblicke, Entschädigung für alle Strapazen - sie schlägt die Augen auf und strahlt mich an. Guten Morgen, Püppchen. Sie hat keinen anderen Kosenamen, nicht Charlie, nicht Lottchen. Nur Püppi, Püppchen. So nannte der Vater sie. Sie hört es gern. Smalltalk auf dem Weg ins Bad. Wasserschlacht im Bad. Sie kann so herrlich genießen, prustet und lacht unter der Dusche. Ich singe. In der dritten Etage wurde mir ein Ohrwurm angehängt, nachdem er dort die ganze Nacht war. Ich gebe ihn weiter. Und zum ersten mal höre ich sie singen, Lili Marleen. Es stört mich nicht, dass ich klitschnass bin, sie schon - nun zieh dich schon aus, du bist doch schon ganz nass - und besorgt schiebt sie hinterher - hast du was zum Umziehen dabei. Grenzen verschwimmen, Familie, Freundin, Pflegerin. Manchmal bin ich alles.
Haben sie diese Bücher gelesen, frage ich. Den Marquez und den Walser? Meine nächste Frage wird von einem klaren Nein gestoppt. Nein? Und warum stehen die dort? Ich weise auf das Bücherregal. Sie lacht. Es ist dieses spitzbübische kleine Lachen ... Warum? warum nicht? Die sehen doch gut aus ... Ich denke an meine gesammelten Werke im Bücherschrank und fühle mich ertappt. Und was haben Sie dann gelesen? Thomas Mann, kam es wie aus der Pistole geschossen und ebenso schnell: Das dachte ich mir. - aus meinem Munde. Mir fällt meine Großmutter ein, Ähnlichkeiten mit dieser kleinen, zierlichen Dame. Wir sitzen auf dem Bettrand, baumeln mit den Beinen. Das Wasserglas in der einen, die Tabletten in der anderen Hand, hängt sie ihren Gedanken nach. Ich laufe hinterher. Und welches Buch von Thomas Mann ... Ich komme nicht weiter. Wie so oft ist sie meinen Gedanken auf der Spur. Ich glaubte schon, ‘Joseph’ auf ihren Lippen zu lesen ... Nein, es war ein Grinsen, das Katzengrinsen meiner Großmutter. Willst du ein Buch über mich schreiben? Sie sieht mir über die Schulter ins Gesicht, sucht das JA und findet eine heruntergefallene Kinnlade. Ich verschlucke mich an ihrem Lachen.

Vielleicht ...

Oder sollte ich ihr sagen, dass ich schon seit Tagen über sie schreibe?

10
Apr
2008

SEELENWANDERUNG

Als ich die Schicht übernahm, wurde es bereits dunkel. Kampf der Laternen gegen den schwindenden Tag. Patt im Dämmerlicht. Du sagtest, wenn wir schlafen, verlassen unsere Seelen den Körper. Ganz nebenbei sagtest du das, so als ob ich das schon längst wüsste, als ob jeder das wüsste. Ich wusste es nicht. Aber ich hatte oft einen Verdacht, dem ich nie folgte - zu schnell stürzte ich ins Wachsein.
Die Tür fiel ins Schloss hinter dir. Ohne Fragen, keine Antworten. Ruhigen Dienst ...

Patrouille auf nächtlichen Fluren. Alles schläft, keine Menschenseele. Ich begegne ihr in der dritten Etage. Sie schlendert von Tür zu Tür, liest die Namensschilder, schüttelt hin und wieder den Kopf. Ich beobachte sie eine Weile, gebe mich zu erkennen. Bist du schon lange hier, fragt sie. Ja, ich habe auf Sie gewartet. Wir gehen langsam zum Fahrstuhl. Warum hast du nicht wieder geheiratet? Du bist doch noch jung. Ich hole tief Luft und bevor ich antworten kann, lacht sie schon wieder ... Verstehen ohne Worte. Seelenverwandtschaft?
Ich bringe sie zu Bett, zum zweiten mal in dieser Nacht. Schlaf schön mein Engel und träume süß ...

Die Nacht trollt sich, macht dem Tageslicht und der nächsten Schicht Platz. Ruhig war es heute. Nicht viel, was ich in den Feierabend mitnehmen muss - eine leere Thermosflasche, eine leere Brotdose ... Der Morgen ist kühl, aber mir wohl gesonnen. Kein Nebel, kein Kratzen an der Windschutzscheibe, eine Umleitung wird ignoriert - ich kenne sie, sie kommt jeden Donnerstag hier vorbei. Nur noch ein kurzes Stück durch den Frühling und ich bin zu Hause. M. ist schon auf dem Sprung, kurz vor dem Urlaub. Blumengießstrategien, Schlüsselübergabe. M. hat Sehnsucht nach der Sonne und der Wärme am Mittelmeer. Mir reicht fürs erste die Wärme meines Bettes.

Keine Sperenzchen, Katzenwäsche, Decke über die Nase. Manchmal kann ich es fühlen, das Einschlafen. Sanftes Fallen, ganz leicht werde ich ... mehr als sechzig Kilo, die nicht zu mir gehören. Wie war das doch gleich mit den Seelen, wenn wir schlafen?
Ich versuchte mir vorzustellen, wo sie wohl hingehen. Treffen sie sich alle irgendwo, oder geht jede woandershin? Schlüpfen sie in einen anderen Körper oder hocken sie in den Bäumen? Wohin geht meine? Geht sie oder fliegt sie? Wie ist das, wenn ich nicht schlafen kann? Weiß die Seele dann nicht wohin? Und wenn ich nach kurzer Zeit wieder aufwache, ist sie dann nur bis ins Nachbarhaus gekommen?

Manchmal verschlafe ich auch ...


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22
Mrz
2008

UND WENN SIE LACHT, IST SIE IMMER NOCH SCHÖN

Erzähl mir was. Ich hör dir doch so gern zu. Die alte Dame berührt vorsichtig meinen Kopf, während ich ihr die Verbände anlege. Schöne Haare hast du ...
Ich drücke ihr ein Glas Wasser in die Hand. Die letzte Nacht steckt mir in den Knochen, ich sehne mich nach meinem Bett und ich kann so schnell kein geeignetes Thema finden. Es ist Kar-Freitag. Und es ist bald Feierabend. Nur noch knapp zwei Stunden. Mühsam kämpft sich der Morgen durch die Wolkendecke. Dicke Schneeflocken tanzen um Laternen, die ihr spärliches Licht in die schwindende Dunkelheit schicken. Ostern fällt in diesem Jahr schon sehr früh. Ich denke an Goethe, an sein berühmtes Frühlingsgedicht und daran, dass er mit dreiundsiebzig Jahren noch eine neunzehnjährige Geliebte hatte. Wussten Sie das? Meine Gedanken verfangen sich wieder in Einkaufslisten und Terminplänen. Das ist doch nichts besonderes, höre ich sie sagen. Verblüfft schaue ich hoch. Und wenn es anders herum wäre? Ich überlege, ob es wohl Zufall ist, dass sie den gleichen Vornamen trägt, wie Frau von Stein. Und noch bevor ich den Gedanken aussprechen kann, empören sich mehr als neunzig gelebte Jahre: Neee! Das wäre mir zu anstrengend! Ich lache unwillkürlich. Sie können schnell denken, sagt sie verschwörerisch, als ich schon in der Tür stand. ... Und Sie können wohl Gedanken lesen, verabschiede ich mich. Ihr Lachen begleitet mich noch eine ganze Weile, und das Strahlen in ihren Augen. Wenn sie lacht, ist sie immer noch schön.


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abendGLUECK - 25. Mär, 11:47
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