KOFFERPACKEN
Kofferpacken
Ich sollte mal wieder Urlaub machen! Ein paar Tage nur! Ohne großen Aufwand, einfach so, die Seele baumeln lassen .... !
Lange habe ich mit mir gehadert - setze ich mich der damit verbundenen Gefahr aus?
Während ich Für und Wider abwog, kam mir der Zufall zu Hilfe. Ein ganz nebenbei eingestreutes Wort, eine unverbindliche Frage und schon befand ich mich in einer völlig neuen Urlaubsdimension - nicht allein, sondern mit Freunden, nicht ein paar Tage, sondern eine Woche, nicht einfach so ... sondern verbunden mit einer gemeinsamen Dichterlesung.
Unbemerkt schlitterte ich schnurstracks in eine schwere reaktive Depression - Kofferpacken. Akute Phase dauert bis zu vierundzwanzig Stunden an, in besonders schweren Fällen sogar mehrere Tage. Erstaunlich dabei - je kürzer die Reiseaufenthaltsdauer, desto komplizierter und intensiver die Depression. Zuverlässig auftretende Begleitsymptome sind verzweifeltes Schluchzen und Jammern über mangelndes Fassungsvermögen des Koffers in direktem Bezug auf den Umfang der zu verstauenden Kleidungsstücke und unbedingt benötigter Gebrauchsgegenstände.
Bereits in der Entweder-Oder-Phase gefangen, kam mir die Erleuchtung. Ich besann mich auf bewährte Taktiken, so das Sieben-Tage-sieben-Höschen-Verfahren. Dieses Verfahren ist genial - ich packte einfach alles in achtfacher Ausfertigung ein, sicherheitshalber. Das klappte ganz gut, bis ich unter gelegentlichem Stocken an die erste Hürde kam. Frau zieht sich nicht an ... Frau kleidet sich!
Schon hatte die Krankheit mich fest im Griff. Ich breitete den gesamten Inhalt des Kleiderschrankes auf meinem Bett aus und begann zu kombinieren. Wollte ich die Nacht nicht auf dem Sofa verbringen, musste ich bis zum Schlafengehen fertig sein - eine weitere gute Taktik, allerdings eine mit hohem Stressfaktor.
Das Ergebnis war außerordentlich befriedigend. Ich war glücklich, diesmal doch recht glimpflich davon gekommen zu sein.
Auf diesen Moment schien meine Tochter gewartet zu haben ...
“Und wenn ihr abends mal weggehen wollt?” Ganz nebenbei ließ sie mich auch die laut Wetterbericht zu erwartende Sonnenscheindauer in Minuten pro Tag und die Tageshöchsttemperaturen wissen. Im Gegensatz zu den Regenprognosen waren die beiden ersten Werte sehr niedrig.
Ich reagierte prompt und stellte eine zweite und dritte Kollektion zusammen. Dabei erfreute ich mich an längst verschollen geglaubten Kleidungsstücken, allerdings nur so lange, bis ich sie auf ihre Passform untersuchte ... die meisten müssen beim letzten Umzug eingelaufen sein! Wohl verstaut auf Schränken, unter Betten oder in anderen Auslagerungs- stätten träumten Hosen und Kleider seit nunmehr zwei Jahren von ihrem Wiederaufstieg in die belle Etage der Kleiderschränke.
Und ich träumte nun auch - davon, dass sie mir jemals wieder passten.
Einem erneuten depressiven Rückfall steuerte das freundliche Publikum der Packorgie bei Einbruch der Dunkelheit mit fröhlichem Weingelage erfolgreich entgegen. Bald sah ich vieles nicht mehr so verdrossen, ja ich legte sogar ein Fläschchen Sekt und 5 Tafeln Schokolade zwischen einen Stapel von Stofftaschentüchern und die Gummistiefel.
Um jetzt nicht den Zustand völliger Entgleisung zu erwecken, füge ich an dieser Stelle eine Erklärung ein: Stofftaschentücher - meine Tochter wies mich darauf hin, dass bei offiziellen Anlässen, wie der Dichterlesung, nicht stilbrüchig in Tempotaschentüchern geweint wird. Und die Gummistiefel? ... Gerade noch rechtzeitig erinnerte ich mich. Vor Jahren stand der Keller im Hause meines Herbergsvaters nach einem sintflutartigem Regenguss kniehoch unter Wasser, alle anwesenden Urlauber bildeten spontan ein erfolgreiches Entwässerungskommando. - Ob ich nicht vielleicht doch noch einen Wassereimer einpacke ...?
Gegen Mitternacht war ich endlich fertig.
Krönung des Packfestivals war das Schließen des Koffers unter dem freundschaftlichen Gesamtgewicht von 160 kg und dem weinseligem Gesang von Tochter und Freundin. Inzwischen konnte auch ich wieder singen ....
Den Koffer konnte ich allein nicht mehr anheben, er blieb auf meinem Bett liegen. Todmüde und urlaubsreif verabschiedete ich mich von meinen Freunden im Internet und verschwand im Bett ... meines Nachbarn.
Am nächsten Morgen, beim Beladen des Autos, kamen mir letzte ernsthafte Bedenken hinsichtlich Umfang und Gewicht meines Gepäcks. Aber auch hier gab es Trost aus den Reihen der Geschlechtsgenossinnen “Bergsteiger schleppen immer mehr als 80 kg mit sich herum. Man muss immer auf alles vorbereitet sein!” Ich war beruhigt. Und daran konnten auch die ungläubigen Blicke meines Nachbarn nichts ändern. Demonstrativ sich den vom Kofferschleppen schmerzenden Rücken haltend, stand ihm die Vermutung eines heimlichen Wohnungswechsel auf der Stirn geschrieben. Immerhin, in acht Tagen kann viel geschehen und schließlich muss man auf alles vorbereitet sein ... Staatsempfang auf der Kuhweide, ... Vernissage im Wald, ... “Spiel ohne Grenzen” im einzigen Supermarkt des Ortes oder ein Rockkonzert zur Einweihung des Bahnhofsklos ... Ich bin auf alles vorbereitet!
Nur ein Brautkleid hatte ich nicht dabei und, wie sich schon bald herausstellte, auch keine Haarwäsche.
Ich sollte mal wieder Urlaub machen! Ein paar Tage nur! Ohne großen Aufwand, einfach so, die Seele baumeln lassen .... !
Lange habe ich mit mir gehadert - setze ich mich der damit verbundenen Gefahr aus?
Während ich Für und Wider abwog, kam mir der Zufall zu Hilfe. Ein ganz nebenbei eingestreutes Wort, eine unverbindliche Frage und schon befand ich mich in einer völlig neuen Urlaubsdimension - nicht allein, sondern mit Freunden, nicht ein paar Tage, sondern eine Woche, nicht einfach so ... sondern verbunden mit einer gemeinsamen Dichterlesung.
Unbemerkt schlitterte ich schnurstracks in eine schwere reaktive Depression - Kofferpacken. Akute Phase dauert bis zu vierundzwanzig Stunden an, in besonders schweren Fällen sogar mehrere Tage. Erstaunlich dabei - je kürzer die Reiseaufenthaltsdauer, desto komplizierter und intensiver die Depression. Zuverlässig auftretende Begleitsymptome sind verzweifeltes Schluchzen und Jammern über mangelndes Fassungsvermögen des Koffers in direktem Bezug auf den Umfang der zu verstauenden Kleidungsstücke und unbedingt benötigter Gebrauchsgegenstände.
Bereits in der Entweder-Oder-Phase gefangen, kam mir die Erleuchtung. Ich besann mich auf bewährte Taktiken, so das Sieben-Tage-sieben-Höschen-Verfahren. Dieses Verfahren ist genial - ich packte einfach alles in achtfacher Ausfertigung ein, sicherheitshalber. Das klappte ganz gut, bis ich unter gelegentlichem Stocken an die erste Hürde kam. Frau zieht sich nicht an ... Frau kleidet sich!
Schon hatte die Krankheit mich fest im Griff. Ich breitete den gesamten Inhalt des Kleiderschrankes auf meinem Bett aus und begann zu kombinieren. Wollte ich die Nacht nicht auf dem Sofa verbringen, musste ich bis zum Schlafengehen fertig sein - eine weitere gute Taktik, allerdings eine mit hohem Stressfaktor.
Das Ergebnis war außerordentlich befriedigend. Ich war glücklich, diesmal doch recht glimpflich davon gekommen zu sein.
Auf diesen Moment schien meine Tochter gewartet zu haben ...
“Und wenn ihr abends mal weggehen wollt?” Ganz nebenbei ließ sie mich auch die laut Wetterbericht zu erwartende Sonnenscheindauer in Minuten pro Tag und die Tageshöchsttemperaturen wissen. Im Gegensatz zu den Regenprognosen waren die beiden ersten Werte sehr niedrig.
Ich reagierte prompt und stellte eine zweite und dritte Kollektion zusammen. Dabei erfreute ich mich an längst verschollen geglaubten Kleidungsstücken, allerdings nur so lange, bis ich sie auf ihre Passform untersuchte ... die meisten müssen beim letzten Umzug eingelaufen sein! Wohl verstaut auf Schränken, unter Betten oder in anderen Auslagerungs- stätten träumten Hosen und Kleider seit nunmehr zwei Jahren von ihrem Wiederaufstieg in die belle Etage der Kleiderschränke.
Und ich träumte nun auch - davon, dass sie mir jemals wieder passten.
Einem erneuten depressiven Rückfall steuerte das freundliche Publikum der Packorgie bei Einbruch der Dunkelheit mit fröhlichem Weingelage erfolgreich entgegen. Bald sah ich vieles nicht mehr so verdrossen, ja ich legte sogar ein Fläschchen Sekt und 5 Tafeln Schokolade zwischen einen Stapel von Stofftaschentüchern und die Gummistiefel.
Um jetzt nicht den Zustand völliger Entgleisung zu erwecken, füge ich an dieser Stelle eine Erklärung ein: Stofftaschentücher - meine Tochter wies mich darauf hin, dass bei offiziellen Anlässen, wie der Dichterlesung, nicht stilbrüchig in Tempotaschentüchern geweint wird. Und die Gummistiefel? ... Gerade noch rechtzeitig erinnerte ich mich. Vor Jahren stand der Keller im Hause meines Herbergsvaters nach einem sintflutartigem Regenguss kniehoch unter Wasser, alle anwesenden Urlauber bildeten spontan ein erfolgreiches Entwässerungskommando. - Ob ich nicht vielleicht doch noch einen Wassereimer einpacke ...?
Gegen Mitternacht war ich endlich fertig.
Krönung des Packfestivals war das Schließen des Koffers unter dem freundschaftlichen Gesamtgewicht von 160 kg und dem weinseligem Gesang von Tochter und Freundin. Inzwischen konnte auch ich wieder singen ....
Den Koffer konnte ich allein nicht mehr anheben, er blieb auf meinem Bett liegen. Todmüde und urlaubsreif verabschiedete ich mich von meinen Freunden im Internet und verschwand im Bett ... meines Nachbarn.
Am nächsten Morgen, beim Beladen des Autos, kamen mir letzte ernsthafte Bedenken hinsichtlich Umfang und Gewicht meines Gepäcks. Aber auch hier gab es Trost aus den Reihen der Geschlechtsgenossinnen “Bergsteiger schleppen immer mehr als 80 kg mit sich herum. Man muss immer auf alles vorbereitet sein!” Ich war beruhigt. Und daran konnten auch die ungläubigen Blicke meines Nachbarn nichts ändern. Demonstrativ sich den vom Kofferschleppen schmerzenden Rücken haltend, stand ihm die Vermutung eines heimlichen Wohnungswechsel auf der Stirn geschrieben. Immerhin, in acht Tagen kann viel geschehen und schließlich muss man auf alles vorbereitet sein ... Staatsempfang auf der Kuhweide, ... Vernissage im Wald, ... “Spiel ohne Grenzen” im einzigen Supermarkt des Ortes oder ein Rockkonzert zur Einweihung des Bahnhofsklos ... Ich bin auf alles vorbereitet!
Nur ein Brautkleid hatte ich nicht dabei und, wie sich schon bald herausstellte, auch keine Haarwäsche.
Luna in flagranti - 29. Mai, 21:00