ich

13
Feb
2008

FRÜHJAHRSPUTZ

Ich sichte Manuskripte. Trümmer und Fragmente aus vergangenen Wochen und Monaten werden sortiert und vom Schreibtisch geräumt, Zeilen auf Zeitungsrändern eingesammelt, in diversen Kladden nach Bruchstücken der letzten Zeit gefahndet. Schlagzeilen, Momentauf-nahmen, Gedankenblitze, Schnipsel - Berge, die darauf warten, in Gedichten und Geschichten ein neues Bestätigungsfeld zu finden.

Sozialkaufhaus - was kostet dort wohl ein Kilo Liebe, oder würden dir 750 Gramm Gefühl vielleicht auch reichen? Egal. Eheurkunden kommen unterm Strich teurer. Tahoma 14, linden.nord@, Mehrpersonenkörper mit Freivögelschein. Ich weiß nicht mehr, wer mit einunddreißig Jahren schon siebenhundert Bilder gemalt hat. Weißt du es noch? War es Paula Modersohn-Becker? Elie Wiesel hat seine Gedanken zur Gegenteiligkeit unter ganz anderen Aspekten geschrieben, als ich sie vor langer Zeit im U-Bahnhof Alexanderplatz las. Das erschreckt mich. Auch, dass ich nicht die einzige darin bin. Warum ich Wasser kochen, frischen Ingwer hineinreiben und den Sud dann trinken sollte ... ?
Keine Ahnung.

Stapel von Papier fallen dem Zerreißwolf zum Opfer. Im Abfall finden sich später defizitäre Gefühle neben genormten wieder. Gedanken gehen durch die Mühle, im Kopf sortiert jemand Buchstaben, Worte, Zeilen. Ich schaue aus dem Fenster. Struppiges Gefieder hockt seit Minuten drüben auf dem alten Zaun, es plustert sich auf, hält mich von meinem Tun ab. Es klingelt. Vor der Tür steht Betreten und in der Tür Unwillig. Es ist eine dieser ganz kurzen Begegnungen. Als sich die Tür schließt, tut es mir schon wieder leid. Ist das Ok.?

Wenig später frage ich mich, wie linke Schuhe auf die Standspur der A2 kommen, 100 km vor Berlin? Und, wen könnte das, außer mir natürlich, interessieren? Ich bin nicht PK, ich bin ICH. Versalien auf einem Zettel. Ich stelle fest, Ähnlichkeiten sind eher unzufällig. Wann hatte ich das nur vergessen können? Woanders steht, dass ich Rüdiger Dahlkes “Krankheit als Weg” lesen sollte. Ich habe zu diesem Themen keinen Bezug mehr und schmeiße die Notiz weg. “Vorurteile”, Autor? - habe ich mir dann doch auf die Bücherliste gesetzt. Eine Musikliste gibt es auch.

Ja, ich bin gern hier, sagt sie ihrem Gegenüber ...
diese Zeile könnte der Anfang einer neuen Geschichte sein.

3
Jan
2008

ICH MORDE NUR FÜR DICHTER

(fünfzehnter und sechzehnter Dezember
und ein bisschen vom siebzehnten,
zweitausendsieben)

Kurz nach drei Uhr.
Sonnabend Nachmittag.
Ich habe einen Weihnachtsmann erschlagen.
Auf dem Weg nach Berlin.
Ich hatte gute Gründe.
Dennoch.
Das Problem hätte anders gelöst werden können.
Eleganter vielleicht, etwas stilvoller.
Es war Mord.
Skrupelloser Mord.
Er war kleiner als ich,
wesentlich kleiner und wehrlos.
Und er war aus Schokolade.
Den geschändeten Körper,
mit einer Nachricht versehen,
versenkte ich im Briefkasten.
Es war ein perfekter Mord.
Und er hat sich gelohnt.
Der Dichter hat angebissen.

Weihnachtsmannmord-2

Etwa acht Uhr.
Sonntag Abend.
Kurzes Klingeln neben einem Schild, das den Namen des Dichters trägt. Er erwartet mich, im Türrahmen stehend.
Eine schöne Geste. Ich spüre seit Stunden etwas, was ich für Hunger halte. Wir gehen. Nicht weit.
Scheinheiliges Essen. Darf ich rauchen, fragt der Dichter. Klar doch, ich esse ja nicht, ich stochere ja nur herum. Ein großes und ein kleines Bier, eine urige Kneipe, ein paar Gäste. Laute Musik.
Unsere Worte versuchen, sich anzufassen, um sich nicht zu verlieren zwischen wirbelnden Gedanken, gegen die ein gelangweilter DJ heute keine Chance hat anzukämpfen.
Noch ein Bier? Nö. Wollen wir geh’n?
Die Damentoilette heißt hier Damenklo. Darunter ein Piktogramm, für alle die das nicht mehr lesen können. Wir können noch lesen. Und ich will jetzt den Dichter lesen hören. Zahlen, bitte!

Etwas später
und einen kurzen Fußweg lang danach.
In dem kleinen Raum, der trotz nächtlicher Stunde sonnendurchflutet scheint, ist genügend Platz für zwei Stimmen, eine Gitarre, drei Laptops, unkompliziertes Umgehen, ein Fotoalbum, gedruckte Worte, Musik, eine Flasche Rotwein.
Prince taucht alles in purpurnen Regen und Erinnerungen, die es jetzt nicht geben sollte. Laurie sucht nach Worten, die sie neben die von Ursula legen könnte. Ich bedaure, dass ich Lou nicht mitgenommen habe. Er hätte auch gut zu den Momenten gepasst, die sich den Anschein geben, als knüpften sie an gestern an oder an vorhin oder an gerade eben - also an Momente, die nach
Distanzeliminierung schreien. Wir bilden aus Buchstaben Stufen, über die wir aufwärts streben.

Ist es wirklich schon halb zwei? Oder noch später?
Wir können den Tag nicht verstecken, der sich müde in unseren Augen ausbreitet. Wir können die Zeit nicht knebeln, sie legt sich bleiern auf die Lider. Wir brechen ab. Wir sehen uns wieder.
Ohne Mord. Wir haben ja Telefon.

1
Jan
2008

MEINE KARTENLEGERIN HAT GESAGT

"... und du kümmerst dich jetzt erst einmal nur um dich. Du machst jetzt nur das, was dir gut tut!" Das sagte sie mir in den letzten Tagen vor Weihnachten. Kann mir mal einer sagen, wie das gehen soll. Sie konnte es nicht. Ich im Schichtdienst, die einfallende Familie am Horizont und die Bude auch so ständig besetzt...

Ich bemühte mich, meiner Zukunft gerecht zu werden. Und ich fing sofort damit an. Schließlich war ich endlich mal wieder in Berlin ... Das allein tat mir schon gut. Besuchte dort meine langjährige Freundin, das tat mir auch gut. Ihre Anwesenheit, ihr Gewusele, ihre Fürsorglichkeit ... dieses Gemüt breitete sie über uns und wir fühlten uns alle wohl. Dann beschlossen wir, die Besinnlichkeit der häuslichen Adventsfeier im Trubel der nächtlichen Großstadt ausklingen zu lassen. Es sollte getanzt werden was das Zeug hielt. Männer sollten uns zu Füßen liegen. Reihenweise. Es sollte die Kulturbrauerei sein. Ich war noch nicht lange genug Landei, um nicht zu wissen, was mich dort erwarten wird und sah belustigt dem nun folgenden Styling zu. Ich tat, was mir gut tat, ich blieb so wie ich hier am späten Nachmittag ankam. Es tat mir auch gut, mit dieser verrückten Truppe die Kulturbrauerei zu stürmen ... In der man zu dieser Zeit sogar die gegenüberliegenden Wände erkennen konnte. Vielleicht tat es insgesamt gesehen auch noch gut, die Theke genau am anderen Ende des Raumes zu wissen.

Von dem, was dann kam, konnte ich nicht mehr unbefangen sagen, dass es mir gut tat. Es tat mir sicher nicht gut, schon kurz nach dem Einnehmen der Plätze eine der Stürmerinnen nach Hause zu bringen. War es der Adventskaffee ... oder der unglückliche Cola-Whisky-Mix während des stundenlangen Stylings? Ich nahm den Rest des von meiner Freundin auf dem Damenklo wiederbelebte Wesens in Empfang und tat das, was ich immer tat. Ich spielte Samariter. Es tat mir nicht gut, erst jetzt nach Entfernung und Schwierigkeitsgrad des Heimweges zu fragen ... das Wesen war nur bedingt auskunftsfähig ...

Es tat mir auch nicht gut, nach zwei Stunden von der inzwischen in Gang gekommenen Party nur noch ungestalte Ärsche vor der Nase zu haben. Ob es mir so gesehen gut tun sollte, das Etablissement schon kurz nach meiner Rückkehr wieder zu verlassen ... Man lauerte nur auf mein Eintreffen, um den Heimweg antreten zu können. Kulturbrauerei war wohl doch nicht zielgruppengerecht ... Das Warten vor der einzig noch offenen Wurstbude und anschließend auf dem zugigen U-Bahnhof tat auch den anderen nicht gut. Das beruhigte mich.

Im folgenden hielt ich mich strikt an die Empfehlungen der Karten - ich zog mir einen schwelenden Infekt zu - nicht so einer, der offen bekundet ‘Ich bin’s, dein Husten, dein Schnupfen, dein Knochen- und Allgemeinleiden!’. Nein, er nistete sich im Schlafzentrum ein und legte mich lahm. Ich schleppte mich und ihn durch die Nächte, verschlief die Tage und kümmerte mich somit wirklich nur noch um mich.

Übrigens. Die Kartenlegerin hatte sich kurzfristig aus dem Geschehen ausgeklinkt. Sie blieb zu Hause ... Hm.

13
Jun
2007

IM HINTERZIMMER DER KUNST

Es stimmt nicht, dass ich keiner Fliege etwas zu Leide tun kann. Gerade eben habe ich eine ermordet. Jetzt liegt sie neben mir, röchelt nicht mehr, streckt nicht mehr ihre gefährlichen Beine nach mir aus. Das Untier ist tot, es lässt seine Gedärme heraushängen. Es war ein Rachefeldzug. Sie hatte mich geweckt.
Ich liege gern diagonal im Bett, ich will nicht wissen, was Herr Freud darüber denkt, einladend ist diese Geste jedenfalls nicht, eher raumgreifend. In einer der Nachbarwohnungen stirbt gerade jemand an Raucherhusten. Ich rauche nicht mehr, ich schreibe. Den Raum, der mit Raucherhusten ausgefüllt war, fülle ich jetzt mit Gedanken und statt Bonbons für den guten Atem lagere ich jetzt Schokolade ein, statt Tabakkrümel liegen in der gesamten Wohnung Manuskripte. Drei Zentimeter hoch ist das gesammelte Werk (ich habe nachgemessen, es stimmt).
Heute Nacht habe ich von arabischen Schriftzeichen geträumt. In roter Kreide standen sie gut lesbar an einer Schultafel. Darunter stand ein deutscher Text. Den habe ich nicht behalten können. Vielleicht ist es gut so. Zurück blieb ein beängstigendes Gefühl.
Der Kampf David gegen Goliath geht weiter. Die Komplizenfliege attackiert mich. Ich stehe auf, noch eine Fliege will ich nicht auf dem Gewissen haben.

..........................................................................................

7
Jun
2007

LETZTE NACHT

Letzte Nacht oder
Der Traum im Traum im Traum


Michel Bublé steht neben meinem Bett und irgend jemand pocht rhythmisch gegen die Wand hinter meinem Kopf. Ich bin im Halbschlaf, unfähig, auch nur einer Sequenz nachzuspüren. Ich träume, vernachlässige Geräusche, Wetter und Uhrzeit.

Sie liegt mit dem Rücken zu ihm. Mit den Fingerkuppen seiner gepflegten Hände zeichnet er vorsichtig Wirbel für Wirbel nach. Wie sie sich aneinander reihen, ineinander verzahnen, wie sie tanzen bei jeder Bewegung des grazilen Körpers, schlangenartig, katzenartig, elegant. Ein schmaler Grat, der eine nie gekannte Makellosigkeit teilt. Er stockt auf dem Weg zur Lende. Da ist etwas anders, ungewohnt. Spitzer als die anderen Wirbel erhebt sich dieser eine. Er zögert, hört ein Flüstern, kaum hörbar “Ich bin nicht sie” Er meint, eine sanfte Bewegung zu spüren. “Sie ist tot”, er sucht das Gesicht zu der Stimme und wieder sieht er vor sich das Bild einer jungen Frau, inmitten ihres Blutes, den Körper entsetzlich entstellt. Erschrocken fährt er auf, wie so oft nach diesen schweißgebadeten Nächten und stürzt unter die Dusche. Er kann es nicht ertragen dieses klebrige Gefühl, Schweiß, Blut, Sperma. Mit Akribie und teuren Duftölen schrubbt er sich dieses Gefühl von der Haut wieder und wieder.
Er kann nicht anders.


.......................................................................................

6
Jun
2007

NUR EIN PAAR SEKUNDEN

..... Es sind immer nur ein paar Sekunden, in denen sie sich gänzlich fallen lässt, alles um sich herum vergisst. Vergisst, daß sie ein Mädchen ist, das nun ein Kopftuch tragen soll, vergisst, daß sie Brüder hat, die jeden ihrer Schritte überwachen und daß sie schon längst nicht mehr sich selbst gehört, eigentlich noch nie sich selbst gehörte ...

Ich sitze am Laptop, die vom Badewasser schrumpeligen Fingerkuppen huschen über die Tastatur, meißeln kräftig Gedankengänge in die weiße Bildschirmfläche. Der Knoten des Badehandtuchs hat sich gelockert, nun rutscht es langsam herunter und bildet eine Bauchbinde, auf dem Kopf thront ein Turban, der das kurze Haar trocknen soll. Aus dem frischen Weiß schält sich ein gebräunter Körper. Aber das interessiert momentan niemanden.
Ich drifte ab.
Arte verlagert das reale Leben ins Net ... Ein Kurzfilm der besonderen Klasse. Sehr beängstigend, erinnert mich an eine nicht allzu ferne Vergangenheit. Dissidenten halten sich nicht normgerechte Haustiere und Freunde. Das geht natürlich nicht ... und das ist auch kein guter Hintergrund für einen beschaulichen Nachmittag.
Ich wechsele den Platz.
Am Fenster stelle ich mir vor, dass es draußen schneit. Es schneit Manuskriptschnipsel aus zerrissenen Wolken. Während ich meine Geschichte zusammensetze, avanciert der in rotgepunkteter Pracht stehende Kirschbaum zum Ausflugsziel von Mensch und Hund. Sie haben den Film auf Arte nicht gesehen. Unbedarft, furchtlos, glücklich, nicht von kranken Phantasien geplagt, flanieren sie, halten Hundekonferenzen und Kirschsymposien ab.
Ich lasse mich treiben, schwimme auf meinen Gedanken davon ...

Es klingelt.
Augen strahlen, Augen mustern, Augen sind wunderbar tief, Augen ziehen mich an, Augen ziehen mich aus ... Es sind immer nur ein paar Sekunden, in denen man sich gänzlich fallen lassen kann.


..........................................................................................

16
Apr
2007

UND DIE SONNE KÜSST MEINE ZEHEN

Ich zelebriere diesen späten Morgen nach einer Nachtschicht.
Ein Frühlingsmorgen, den man einfach feiern muss.
Ein reifer, ein satter Morgen, nicht wie diese normalen, quirligen, geschäftigen, jungen, aus denen erst noch etwas werden muß. Dieser Morgen ist fertig. Dieser Morgen ist perfekt.

Frühstück im Freien, das erste in diesem Jahr - ein Festmahl, wie schwere Seide fühlt sich das an, wie Brokat auf unruhigen Nächten... so etwas gibt es erst und ausschließlich ab 14 Uhr auf meinem Planeten.
Leichter, lauer Wind fährt ganz nebenbei durch mein ungekämmtes Haar, ein Gruß. So liebtest du mich am meisten, so mit all diesen Spuren der Nacht. Nur ich und ich und ich.
Die Sonne, die gerade noch zögernd um die Ecke schaute, steht nun schon mitten auf meiner Terrasse, so als wolle sie sich vergewissern, dass ich auch schon hier bin. Wäre ich es nicht, hätte sie mir unmissverständlich bedeutet, dass man innerhalb zweier Jahre auch hier ruhig einmal die Fenster putzen könnte. Aber sie sieht mich, sie küsst mich, sie versucht breit und golden, mir mit ihren glühenden Fingern die Augen zu schließen. Lachend wehre ich mich, hole meine Sonnenbrille und eines meiner neuen Bücher.

Ein Buch, wie ein Strudel, alles verschlingend, auf eine Weise, die ich nur mit meinem Gefühl beschreiben kann ‘Liebeskummer‘, nein eher ‘liebeskrank‘. Nahezu jedes Wort scheint aus meinem Herzen gerissen und die Wunden klaffen, weil diese wunderbaren Bilder von einem anderen gemalt wurden. Weil diese Zeilen, Zeilen wie Romane, von einer Tiefe sind, in der man tatsächlich ertrinken kann.
Ich lasse mich mitziehen, kreise genießend und neidvoll gleichermaßen und beschließe, dass dieses Buch für mich geschrieben wurde.
So steht es zumindest in der Widmung "Für P., die vergeßlich ist.". Das passt sogar und es versöhnt mich.

Am Ende dieses Strudels findet sich eine Tasse kalten Kaffees, warmer Orangensaft, ein trockenes Brötchen und zerlaufene Butter, in der inzwischen Ameisen baden und ein knurrender Magen.
Ich gehe ins Zimmer, teile der Welt meinen seligen Schmerz mit und gehe danach wieder in die Sonne. Alles heute unwichtige stehen und liegen lassend, lese noch mal und noch mal und noch mal und lasse mir in Ermangelung von Fischen von der Sonne die Zehen küssen.


Aber nun zu dir, Ference! Ist dir klar, was du mir da angetan hast?
Und ich danke dir sogar noch dafür!

14
Apr
2007

MUSENBISSE

Ein herrlicher Tag! Ich habe frei, liege auf dem Balkon, die Sonne scheint, ein leichter Wind fächelt mir Luft zu ... ich habe es gut! Ein tiefer zufriedener Seufzer entfährt meiner Brust.
Und das, obwohl ich leide.

Ja, ich leide! Aus der Wohnung verbannt - eingehüllt in Decken bis zum Hals, nur die nackten Füße schauen heraus und die tropfende Nase! Um mich herum Pillen, Tees, Brausetabletten mit Vitamin C, gegen Kalziummangel, zum Schleimlösen und Taschentücher, Hustenbonbons, Halslutsch-pastillen, Nasensprays ... Ich leide! Ich habe keinen vulgären Schnupfen, nein - ich nicht! Ich kämpfe gegen einen akuten, massiven Rhinovirenbefall und ich leiiiiideeeeee! Voller Hingabe genieße ich diesen Zustand, koste ihn aus. Wann war ich schon mal so krank ...?

Taktlos reißt mich das Schellen der Wohnungsklingel aus unruhigem Schlummer. Ein Luftzug deutet mir, dass die Tür geöffnet wird. Leichtfüßig huscht jemand herein. Betont leises Flüstern auf dem Flur, gerade so, dass ich es hören kann, weckt meine Neugier. ”... das ist ja schrecklich ... gestern war sie noch quietschfidel und nun ... wie lange hat sie ... ich meine, sie wollte doch ...”. Ich konnte nicht jedes Wort verstehen und bevor ich mich in dem entgegengebrachten Mitgefühl aalen kann, erspüre ich einen ironischen Unterton in der Stimme meiner Freundin.
Schlange! Steckt mit meiner nesthockenden Tochter unter einer Decke! Mir fehlt die Kraft, mich zur Wehr zu setzen.

Schon gestern belauschte ich ein Telefonat zwischen meinen Töchtern. Sagte doch die Nesthockende zu ihrer großen Schwester “... Mama willst Du sprechen? ... warte mal ... wie es ihr geht? ... ach, sie leidet ... diesmal ist es besonders schlimm ... sie trägt Rot! ...”
Ja, ich trage Rot. Rot steht mir gut, wenn ich leide, es unterstreicht die kranke Blässe.

Mit lauten Trompetenstößen mache ich auf mich aufmerksam, betrübt, dass meinem Zustand nicht der gebührende Respekt entgegengebracht wird. “Du verseuchst die gesamte Wohnung ...” meine Tochter drängt mich zurück auf den Balkon und schiebt mir eine weitere Tasse widerlich süßen Kräutertees zu. Sie will mein Leiden schnellstmöglich beenden, aber ich werde ihr was husten ... Ich habe Ausdauer!
Ich ordere eine neue Turnierpackung Taschentücher, extra weich mit schützendem Ringelblumen-Balsamfilm ... alles was ich haben möchte, bringt sie mir - nicht sichtlich erfreut, aber ihrer Nesthockerpflicht gehorchend.

... und sie bringt mir darüber hinaus - ein Dampfbad!!!!
Hilfe, ich kriege so schon keine Luft. Noch bevor ich ein Wort sagen kann, habe ich ein riesiges Badelaken über dem Kopf und die Nase über heißem Kamillenwasser. Ich ergebe mich, versuche, die kleinen Kamillenblüten zu zählen, die in der Schüssel ertrinken. Im Nachbargarten verkündet eine Krähe lauthals meinen nahen Tod. Jemand setzt sich neben mich, wortlos.

Ich denke zurück, wie fing das eigentlich an ... Ich war kerngesund, die letzte Untersuchung ergab nur einen Kalzium-Mangel und ich habe mich doch umgehend daran gemacht, diesen auszugleichen. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen ... bis dahin hatte ich offensichtlich nicht einmal die Kraft, krank zu werden! Und nun, mit steigendem Kalziumspiegel ...! In Panik reiße ich mir das Handtuch vom Kopf, ringe nach Luft, lehne mich erschöpft zurück ... Was kommt wohl als nächstes? Langsam versinke ich in einen schwerelosen Dämmerzustand.

Gegen Abend habe ich mich mit meiner prämortalen Phase arrangiert und auch meine Tochter scheint die Dramatik endlich begriffen zu haben. Sie strahlt über das ganze Gesicht und baut sich mit einer Suppenschüssel in den Händen stolz vor mir auf. “Oh wie schön”, denke ich ... “ein Hühnersüppchen“. In ihrer rauen Schale steckt doch ein mitleidendes Herz! Ich quäle mich zum Sitzen, lächele mit letzter Kraft zurück, nehme den Deckel der Terrine hoch ... und lasse ihn augenblicklich scheppernd wieder fallen. Haferschleim! Haferschleim?
“Ich hab doch nichts am Magen!” zische ich. Ich lächele nicht mehr, ich springe auf, eile ins Bad.

Die abendliche Geschwisterverschwörung brachte es ans Licht ...
“... Ja, ich habe es so gemacht ... hat gewirkt ... hat bei uns doch auch immer geholfen ...“ Kichernd legt der Nesthocker den Telefonhörer auf und schiebt mir ... einen Teller Hühnersuppe zu ...

Nach dem Essen verlasse ich die Gruft, begebe mich schnurstracks an den PC. Ich spüre es ganz deutlich ... Die Muse hat mich gebissen. Sie hat ihren hässlichsten Mantel übergehängt und attackiert mich. Ihre Tarnung ist perfekt! Niemand vermutet sie hinter diesem löchrigen Fetzen, aus dem es unaufhörlich tropft.

Meine sonnenverbrannten Füße im kühlenden Nass, beginne ich zu schreiben ...
“... Die Sonne hält mir die Augen zu. Über meine Vermummung bei 25 Grad Außentemperatur verärgert, stürzt sie sich mit ganzer Kraft auf meine nackten Füße... Es schmerzt! Ich leide! Verbrennung dritten Grades!
Aus tränenden Augenwinkeln sehe ich zu, wie sie auch den Petunien das Gießwasser wegtrinkt, unfähig, etwas zu tun. Traurig lassen sie ihre hübschen roten Köpfchen hängen, rot wie meine sonnenverbrannten Füße, rot wie meinT-Shirt ... ja, rot steht mir gut, wenn ich leide. ...”


.......................................................................................

16
Jun
2006

USEDOM



aktuelle webcam-Aufzeichnung vom Hotel Seerose aus
http://www.strandhotel-seerose.de/webcam_big.html

Wie viele Schritte sind es bis ans Meer?

Die Begrüßung

“Wie viele Schritte sind es bis ans Meer?” frage ich meine Wirtsleute zur Begrüßung und locke sie auch heute noch mit diesen Worten aus ihrer norddeutschen Reserve. Ein herzliches Lachen ernte ich “Schön, dass Sie wieder mal hier sind. Wen haben Sie denn diesmal mitgebracht?” Grinsen als Antwort, auch als Antwort auf die Antwort.
Wir kennen uns, seit Jahren.

Noch bevor ich mein Gepäck ins Quartier bringe, führt mich mein Weg ans Meer. Mein erster Weg führt mich immer ans Meer, alte Gewohnheit - fast schon ein Ritual.
Ganz langsam gehe ich die Straße hinunter zum Strand. Etwa einen Kilometer ist sie lang. Ich zähle meine Schritte.
Die Straße zum Strand mündet in den Dünen und auf den letzten Metern gibt sie einen kleinen Ausschnitt frei auf das Meer. Dann, auf gleicher Höhe mit den Dünen, erschließt sich das gesamte Panorama. Zur Rechten dehnt sich unendlich heller Strand, geradezu und liegt das Meer in seiner scheinbar grenzenlosen Weite und linkerhand krönen hohe Buchen die Steilküste.

Ich bin am Strand. Die letzen Schritte bis zum Wasser zelebriere ich. Ich bücke mich zum Wasser, es kommt einer tiefen Verbeugung nahe, halte meine Hände über die Stelle, wo sich eben noch die Brandung vom Strand zurückzog - nur wenige Zentimeter über dem feuchten Sand. Ich warte. Warte darauf, dass das Meer zurückkommt, meine Handflächen berührt. Wie streichelnd fahre ich über die heran rollende Welle, tauche vorsichtig meine Hände ein - immer wieder...

Ins Spiel versunken bemerke ich nicht, wie eine größere Wellen auf den Strand zu kommt. Zu spät, ausweichen kann ich nicht mehr, sie steigt in meine Schuhe.
Gischt spritzt hoch, benetzt Gesicht und Arme - salziger Meereskuss. Na, wenn das keine freudige Begrüßung ist! Lachend ziehe ich die nassen Schuhe aus, knote sie an den Schnürsenkeln zusammen und hänge sie mir über die Schulter. Barfuss erwarte ich die nächste Welle. Sie greift schon nach meinen Knöcheln, lockend.
Komm, komm, komm ... ist das langgezogene Rauschen des Meeres zu hören. Die Sonne schwimmt als großer roter Ball hinter der Seebrücke auf dem Wasser. Nur noch eine halbe Stunde, dann wird sie im Meer versunken sein.

Der erste Abend am Meer
... gehört mir ganz allein, auch das ist ein Ritual.
Ich gehe der untergehenden Sonne entgegen, den Blick fest an den Boden geheftet. Ich suche. Ich suche das Glück - in Form eines Steines, eines ganz besonderen Steines. An Usedoms Stränden gibt es nicht so sehr viele davon, es ist schon doppeltes Glück, einen solchen zu finden. Aufmerksam tasten meine Augen den Strand ab. Nichts. Ich ärgere mich über die Akribie, mit der ich das Glück zwingen will, anstatt mich an dem herrlichen Farbenspiel am Himmel zu erfreuen.



Hinter mir höre ich eine Stimme. Ich glaubte mich allein am Strand, bin so vertieft, dass ich alles um mich herum vergesse, nicht wahrnehmen will.
“Was suchst du?” Die Stimme ist nun direkt hinter mir - eine angenehme Stimme, jungenhaft frech, mit einem leisen Anflug von Lachen im Unterton. “Hast du was verloren?”
Stummes Nebeneinander. Ein paar Schritte, Stein anvisieren, bücken, Stein aufheben, ihn untersuchen - kein Hühnergott? ... Ab damit ins Meer!
“Was ist mit den Steinen und warum wirfst du sie ins Meer?“ fragt die Stimme neben mir.
Noch bevor ich antworten kann, entfährt mir ein Jubelschrei!
Endlich! Zwischen Daumen und Zeigefinger halte ich ihn, meinen Glücksboten. Er ist nur klein und auch das Loch in ihm ist nur stecknadelkopfgroß. Egal, ich habe einen Wunsch frei. Mein rechtes Auge kneife ich zu und suche mit dem linken durch das Loch in dem Stein den Himmel ab. Ein letzter dicker Sonnenstrahl fällt mir direkt ins Auge und ohne dass ich lange nachdenken muss, schicke ich meinen Wunsch durch das Tor zum Glück.

“Ein Hühnergott?”, stellt die Stimme fest, fast etwas verwundert. “Schnell, wünsch dir was!” Beruhigt schlendere ich weiter, nun kann ja nichts mehr schief gehen ...




Auf den Buhnen,
die weit in das von der untergehenden Sonne tiefrot gefärbte Meer reichen, warten Möwen auf die Nacht. Ich suche nicht mehr im Sand nach Steinen, jetzt will ich nur noch genießen - das Farbenspiel am Himmel, das Schlaflied des Meeres, das Rauschen des Windes in den hohen Buchen und die würzige Seeluft. Meinen kostbaren Stein halte ich fest in der Hand. Stille.
Es wird Zeit, zurückzugehen. In Höhe der Fischerboote meldet sich die Stimme wieder zu Wort: “Kennst du die Geschichte von der Bernsteinhexe? " Kurze Pause. Dann: “Komm, ich erzähle sie dir.”

Ungeschickt klettere ich in das Boot. Das alte Holz ächzt. Schließlich kauere ich mit angezogenen Knien im Bug des Kahns, den Kopf in die Hände gestützt und lausche in die Dunkelheit, die langsam alles verschlingt - den Strand, das Meer, die Sage von der Bernsteinhexe, auch die Stimme ... Immer leiser wird sie, kaum noch zu hören. Schließlich geht sie völlig unter im Duett von Meer und Wind.
In Gedanken versunken summe ich vor mich hin. Unbemerkt werde ich immer lauter ... Wild horses couldn’t drag me away, wild, wild horses ...
Sie galoppieren durch meinen Kopf, hinterlassen Spuren.

Schritte knirschen im Sand,
kommen näher. “Ach, hier bist du!? Was machst du denn hier allein? Hast du Kopfweh?” Noch bevor ich die Kühle der Nacht spüren kann, legst du mir deine Jacke um und nimmst mich in den Arm.
“Ich hatte eine Verabredung” sage ich leise, während ich mir den Sand von den Füßen streiche und meine Schuhe wieder anziehe. Ungläubig, fragend siehst du mich an und lächelnd flüstere ich “... mit meiner Erinnerung.”

Ich weiß bis heute nicht, wie viele Schritte es bis ans Meer sind, ich werde wohl wiederkommen müssen!


......................................................................................

5
Jun
2006

MUTTERTAG

Das Muttertagsgeschenk
letzter Teil einer wahren Begebenheit

Sechzehn Uhr achtundzwanzig.

Der Himmel tat sich auf, Sonne blitzte zwischen Wolkenbergen hervor. Nahezu gleichzeitig näherte sich eine silberne Kutsche, fuhr langsam an mir vorbei, kam direkt vor mir zum Stehen - ein Engel!



Mein Engel, und was für einer!
Unanfechtbar strahlte er aus seinem roten Overall gegen alle feindlichen Engel an. Das war die Königsklasse, aller Frust war vergessen.

Während wir nett plauderten, fütterte er Schrammelchens Batterie und mein Ego. Es war einer dieser wenigen Momente, in denen ich mich glücklich schätzte, eine autotechnisch unbegabte Frau zu sein. Heute versöhnte mich mein Schicksal mit dieser Bildungslücke.

Mit der liebevollen Bemerkung, ich sei fast wie seine Mutti, schob er mir das Trinkgeld zurück. Nur eine Unterschrift erbat er ... als Bestätigung dessen, dass die Reparaturleistung von einem Engel mit einem silberfarbenen Auto erbracht wurde ...
Lachend entließ er mich in den Muttertagsrest mit der Ermahnung, alle Stromfresser ausgeschaltet zu lassen ... inklusive Licht. Und bis zur nächsten Tankstelle fahren Sie ruhig mal mit maximaler Geschwindigkeit.
Ich tat es, fuhr mit 180 km/h und dem letzten Tropfen Benzin auf die Tankstelle.
Ich hatte mal wieder Glück.


Siebzehn Uhr acht.

Abfahrt P.-B.
Am Himmel Sonne.
An mir vorbei fährt hupend ein silbernes Auto.
Aus meinem Radio: “It’s all over now, Baby blue ...”
Am Handy meine Tochter: Wo bleibst du? Essen ist fertig!

Das war doch mal ein Muttertag, unschlagbar!
logo

Luna in flagranti

Willkommen

Du bist nicht angemeldet.

Mondzeit

Suche

 

MEINE BILDER

Bilder hochladen
www.flickr.com

Lunas Kalender

April 2024
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 
 

in flagranti

cerita dewasa Situs projejakarta.com...
cerita dewasa Situs projejakarta.com memberikan perjalanan...
cerita dewasa (Gast) - 26. Jul, 09:11
detik sport Informasi...
detik sport Informasi Berita Seputar Dunia Olahraga...
detik sport (Gast) - 26. Jul, 04:06
cerita dewasa Situs wisatalendir.com...
cerita dewasa Situs wisatalendir.com memberikan perjalanan...
cerita dewasa (Gast) - 26. Jul, 04:05
solid gold - Berita dan...
solid gold - Berita dan Informasi Terbaru Bisnis, Finansial,...
solid gold (Gast) - 26. Jul, 04:02
liputan6 Membaca berita...
liputan6 Membaca berita sudah bisa dilakukan dengan...
liputan6 (Gast) - 26. Jul, 04:02
sport okezone Kunjungi...
sport okezone Kunjungi sports-okezone.com untuk berita...
sport okezone (Gast) - 26. Jul, 04:02
klasemen liga inggris...
klasemen liga inggris Kunjungi sports-kompas.com untuk...
klasemen liga inggris (Gast) - 26. Jul, 04:01
detiknews Membaca berita...
detiknews Membaca berita sudah bisa dilakukan dengan...
detiknews (Gast) - 26. Jul, 04:01

Meine Kommentare

lehrbriefe sind oft leer...
ich mache doch fernstudium ... immer noch .... pflegedienstleitung.. ..
abendGLUECK - 25. Mär, 11:47
na aber sicher lebt sie...
na aber sicher lebt sie noch, mußt dir mal den film...
Causerien - 25. Mär, 11:34
Dankeschön! ... und viel...
Dankeschön! ... und viel Spaß beim Schmökern. LG von...
Causerien - 25. Mär, 00:57
In temporärer Ermangelung...
In temporärer Ermangelung potentieller Probanden bleibe...
Causerien - 25. Mär, 00:56

Seit 20. April 2006 auf dem Mond

Besucher

Visitor locations

Status

Online seit 6585 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 26. Jul, 09:11

Credits

powered by Antville powered by Helma

sorua enabled
Creative Commons License

xml version of this page
xml version of this topic

twoday.net AGB

Tools für Webmaster

Für alles, was auf dem Mond liegen gelassen wurde, wird keine Haftung übernommen

Wichtiger Hinweis zu allen Links auf dieser Seite! Das Landgericht Hamburg hat in einem Urteil vom 12. Mai 1998 entschieden, daß durch die Anbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seite evtl. mit zu verantworten sind. Dies kann - so das Landgericht - nur dadurch verhindert werden, daß man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert. Ich habe auf einigen meiner Seiten Links zu anderen Seiten im Internet gelegt. Für alle diese Links gilt: Ich habe keinerlei Einfluß auf die Gestaltung und die Inhalte der gelinkten Seiten. Deshalb distanziere ich mich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten der gelinkten Seiten in diesem Blog und mache mir ihre Inhalte nicht zu Eigen. Diese Erklärung gilt für alle in meinem Blog ausgebrachten Links!!!

du
er
fremde Federn
GESCHICHTEN
Gute-Nacht-Geschichten
ich
ich und du
Lesung auf Usedom
offene Briefe
Plaudereien
sie
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren